2022.03.07.

Cornelia Hülmbauer - Diary from Pannonhalma

PANNONHALMA

Tagebuch I

Es ist ein strahlend schöner Wintertag, als ich im Kloster von Pannonhalma ankomme. Ich hatte von diesem Ort noch nie gehört – als ich ihn auf der Website des Residenzprogrammes zwischen den anderen möglichen Destinationen entdeckte, war mir allerdings sofort klar, dass ich dorthin wollte. Pannonhalmi Főapátság, die Erzabtei Pannonhalma, ist ein Benediktinerkloster – das älteste und größte Ungarns – auf einem Hügel unweit von Győr, mit einer spätromanisch-frühgotischen Basilika, einer prunkvollen Bibliothek und einem angelagerten Stiftsgymnasium. Anlässlich seines tausendjährigen Bestehens 1996 wurde das Kloster zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt.

Der Anziehungskraft von Sakralarchitektur kann ich mich generell nur schwer entziehen. Die Vorstellung, für zwei Wochen eine Schreibklause in einem so speziellen, geschichtsträchtigen Haus beziehen zu können, war – meinen eigenen, durchaus ambivalenten Erfahrungen in einer von Franziskanerinnen betriebenen Klosterschule im Niederösterreich der 1990er zum Trotz – einfach nur wunderbar. Spätestens im Zug auf der Hinfahrt  beschlichen mich dann aber doch Zweifel, ob ich nicht mit einer allzu idealisierten Vorstellung an die Sache herangegangen war. Wie würde ich in den dort etablierten Strukturen zurechtkommen? Wie würde ich aufgenommen werden? Als Frau, als Laiin, die nicht einmal im engeren Sinne religiös war. Wie konservativ würde es zugehen? Alles, was ich wusste, war, dass meine Kontaktperson Pater Konrád hieß, und dass das WLAN jeden Abend um 22:00 abgeschaltet wurde.

Also Ankunft am 1. März mittags. Pater Konrád wartet bereits an der Tür. Er ist geschätzt ungefähr in meinem Alter, trägt Sneakers und sagt, dass ich ihn jederzeit per Whatsapp erreichen kann. Er entschuldigt sich für die Einfachheit des mir zugewiesenen Gästezimmers, welches allerdings meine kühnsten Erwartungen übertrifft: Ein heller, großzügiger Raum mit Parkettboden, hohen Decken mit Gewölbe, einem dunklen Schreibtisch mit schweren Schubladen und einem zweiflügeligen Fenster mit Blick über die umliegende Landschaft. Kurz darauf sitzen wir im Gästesalon der Benediktiner, Pater Konrád erzählt in fließendem Deutsch von Kooperationen mit Künstlern und kulturellen Aktivitäten, geplanten Festivals und Gastforschern von Universitäten. Die älteste Urkunde, die bedeutendste Mineraliensammlung. Währenddessen steckt er eine Kapsel in eine Kaffeemaschine. Espresso oder Lungo?

Ich bekomme einen Schlüssel mit einem Holzanhänger, der sich später als Türöffner mit integriertem Chip für sämtliche Bereiche des Gebäudes – abgesehen nur von der Klausur der Mönche –herausstellen wird. Türen, auf denen PRIVÁT oder SILENTIUM steht, sind bevorzugt zu öffnen. Sie geben die wichtigsten Räume frei und bieten die schnellsten Wege. Etwa hundert Schritte, vier Türen und ein wunderschöner Kreuzgang liegen zwischen meinem Zimmer und der Basilika. Ähnlich verhält es sich mit der Bibliothek.

Privat und Silentium werden dann auch so ziemlich die einzigen Wörter bleiben, die ich im Kosmos des Klosters verstehe. Alle Beschriftungen, Informationsmaterialien, die anderen Gäste im Speisesaal: ungarisch. Ich nicke, lächle, murmle angedeutete Grußworte. Ich beobachte, ahme nach, reime mir Dinge zusammen, achte auf den Kontext. Von Beginn an versuche ich, mich dem Rhythmus des Lebens hier – zumindest soweit wie ich ihn verstehe – anzupassen. Entgegen meiner Gewohnheiten stehe ich um 6:00 auf und gehe um 22:00 schlafen. Es klappt wider Erwarten sehr gut. Ich sitze den gesamten Vormittag am Schreibtisch und habe bis zum Mittagessen meist bereits einen Großteil meines Tagespensums erledigt, habe den Nachmittag frei für Spaziergänge und bin dann aber eben abends so müde, dass meine sonst üblichen nächtlichen Arbeitsstunden vollkommen entfallen. Freunde versuchen mich um 0:14 zu erreichen. Sie sind irritiert, dass ihre Nachrichten nicht zugestellt werden. Das WLAN ist aus, und ich schalte das mobile Internet nicht ein.

Das Kloster ist in vielerlei Hinsicht eine Insel. Es ist meistens – soweit bestätigen sich die Stereotype – sehr ruhig. Wenn nicht, wenn kurzfristig eine Horde Gymnasiasten den Gang entlang poltert, im Nebenzimmer ein Filmteam Aufnahmen von einem der Benediktiner macht oder Servierwägen mit Essen klappernd von der Küche zum Speisesaal gefahren werden, stecke ich mir Kopfhörer ins Ohr und höre arbeitstaugliche Musik. Das Migration-Album von Bonobo. Ich fühle mich ertappt. Eine kleine temporäre, immer luxuriöser wirkende Version von Migration – das ist mein Aufenthalt hier.

Das Kloster ist vielerlei Hinsicht eine Insel, aber ich höre die Nachrichten. Sie sind schwer zu ertragen, machen traurig, wütend, fassungslos. Ukrainische Städte unter Beschuss, humanitäre Korridore, die nicht halten, Menschen in Todesangst, Menschen auf der Flucht. Im Eingangsbereich des Klosters werden Sachspenden sortiert und weitertransportiert. Ungarn ist noch näher dran als Österreich. Täglich kommen mehr Geflüchtete an, die Unterbringung und Versorgung brauchen. Außer der Decken und Pullover, die sich stapeln, bekomme ich davon hier nichts mit. Ich poste auf Instagram Fotos der atemberaubend schönen Klosterarchitektur zwischen die blau-gelben Protestbilder und eindringlichen Hilfsaufrufe. Es ist absurd und beklemmend. Und dennoch kann ich nicht anders als mich jeden Tag zu freuen, noch hier sein zu dürfen. Mehr denn je ist es ein Privileg. Wenn man Sie an der Pforte fragt, zeigen Sie einfach Ihren Schlüssel, sagt Pater Konrád.

Auch sonst scheint das Kloster nicht gerade ein Ort der Versagungen zu sein. Für Gäste jedenfalls nicht. Der zweite Tag meines Aufenthalts ist Aschermittwoch, also ein – wie ich von klein auf gelernt habe – strenger katholischer Fastentag. Außer, dass es fleischlose Gerichte gibt, merke ich keinen großen Unterschied zu den Mahlzeiten des Vortages.

Pater Elréd, der seit seinem Schulabschluss 1980 dem Orden angehört, und einer der wenigen hier ist, die Deutsch (oder Englisch) sprechen, kommt vorbei, um mich zu einem Spaziergang abzuholen. Ich habe ein komisches Gefühl, dass die Weinflasche, die ich gestern Abend geöffnet habe, zur Kühlung gut sichtbar zwischen Innen- und Außenfenster lagert. Cornelia, sagt er, als ich meine Zimmertür schließe, und zeigt auf das Namensschild, das daran angebracht wurde. Das erinnert an Shakespeare, König Lears dritte Tochter.

 

Am Abend findet ein ökumenischer Bußgottesdienst zum Aschermittwoch statt. Die Basilika ist sehr voll, alleine die Gymnasiasten füllen sie halb aus, und ich setze mich auf eine Bank in einem Winkel, wo auch einige der Schüler Platz gefunden haben. Aus einer Seitentür kommen drei Ministranten, laufen in ihren wallenden Gewändern an den Schulkollegen vorbei und klatschen dabei mit ihnen ab. Mit ihren weißen Überwürfen sehen sie aus wie Teile einer Sportmannschaft beim Einlauf ins Stadion. Während des Gottesdienstes, der glücklicherweise große musikalische Passagen enthält und mich damit in seiner Feierlichkeit sehr berührt, kann ich nur drei bekannte Wörter ausmachen: Schokolade, Kyrie und Ukraine. Ersteres während der Predigt, letzteres in den Fürbitten.

Am nächsten Morgen – es ist der Tag nach dem strengen oder nicht so strengen, jedenfalls fleischlosen Fastentag – betrete ich den Speisesaal zur Frühstückszeit um 7:30. Auf jedem Platz steht ein Teller, darauf je ein Paar Würstchen mit Senf und Ketchup. Im Kloster hat man Humor, denke ich. Während ich also in das erste Würstchen beiße, fällt mir auf, dass man auf meinem Tischkärtchen meinen Namen ein wenig hungarisiert hat. Cornélia. Akzentuierung als Assimilierung. Es gefällt mir.

 

Am Nachmittag stattet mir Pater Elréd einen Besuch ab. Er trägt ein Säckchen bei sich, das er mit einer geheimnisvollen Geste auf meinem Schreibtisch abstellt. Sie haben ja heute Namenstag, setzt er an und zieht eine Flasche Rosésekt aus dem Säckchen. Dass zwar die ungarische Version, Kornélia – mit K, was doch noch einen gewaltigen Schritt mehr bedeuten würde – an diesem Tag Namenstag feiert, ich, Cornelia – mit oder ohne Akzent – jedoch erst am Ende des Monats, hält uns schließlich aber nicht davon ab, einen Schluck aus Pater Elréds schön geschliffenen Sektgläsern zu trinken.

 

Das Kloster ist in vielerlei Hinsicht eine Insel, doch es  ist hier nicht einsam. Für mich ist es bisher – neben der ermöglichten Schreibruhe und Einkehr – vor allem ein Ort eindrücklicher Begegnungen und Entdeckungen.